Autoimmunkrankheiten: Wenn der Körper sich selbst angreift
Was ist eine Autoimmunkrankheit?
Allen Autoimmunerkrankungen liegt eine Fehlregulierung des adaptiven, also des erlernten/erworbenen, Immunsystems zugrunde. Der Körper kann nicht mehr zwischen „fremd“ und „selbst (auto)“ unterscheiden, stuft eigene Gewebe und Organe als fremd und feindlich ein und bekämpft diese: Das Immunsystem bildet sogenannte Autoantikörper gegen bestimmte körpereigene Eiweiße. Aufgrund der Abwehrreaktion entstehen anhaltende, schwere Entzündungsprozesse, die erhebliche Schäden im Körper verursachen können – bis hin zu lebensbedrohlichen Verläufen.
Wie entstehen Autoimmunerkrankungen?
Die genauen Ursachen von Autoimmunerkrankungen sind nicht abschließend geklärt. Man geht davon aus, dass die Thymusdrüse beteiligt ist. Die Thymusdrüse ist ein wichtiger Teil des Immunsystems. In der Thymusdrüse, auch Thymus und Bries genannt, bekommen die Immunzellen ihre Prägung, also ihr immunologisches Gedächtnis. Es entstehen die T-Zellen, auch T-Lymphozyten genannt. Sie bilden eine Gruppe von weißen Blutzellen, die der Immunabwehr dient. Zusammen mit den im Knochenmark gebildeten Immunzellen, den B-Lymphozyten, bilden sie die Basis für die erworbene Immunantwort des Körpers.
Doch die Thymusdrüse gibt den Abwehrzellen nicht nur ihr Gedächtnis. Sie eliminiert auch fehlentwickelte Zellen. Übersieht der Thymus-Immunzellen, die sich fälschlicherweise gegen körpereigene Gewebe richten (selbstreaktive Zellen), hat das weitreichende Folgen für die Gesundheit: Gelangen die falsch kodierten Zellen in den Körper, kann ein bestimmter Trigger zum Ausbrechen einer Autoimmunerkrankung führen.
Autoimmunkrankheiten-Ursachen: Zusammenspiel verschiedener Faktoren
Liegt eine gewisse genetische Disposition vor und kommen bestimmte Stressfaktoren hinzu, können Fehler im Immunsystems passieren und die fehlgesteuerte Verteidigung des Immunsystems aktiviert werden. Zu den Risikofaktoren gehören Infektionen, Medikamente, chemische Substanzen und Gifte, aber auch hormonelle Veränderungen, etwa im Rahmen einer Schwangerschaft. Ebenso werden emotionaler Stress sowie Vitamin D-Mangel im Zusammenhang mit dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen diskutiert.
Lesetipp: Nahrungsergänzungsmittel Vitamin D. Dosierung, Nutzen & Risiko.
Welche Autoimmunkrankheiten gibt es?
Schätzungen zufolge sind weltweit bis zu acht Prozent der Bevölkerung von einer Autoimmunerkrankung betroffen. Autoimmunkrankheiten bilden nach Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen die dritthäufigste Erkrankungsgruppe. Experten unterscheiden zwischen organspezifischen Autoimmunerkrankungen und nicht-organspezifischen, systemischen Autoimmunerkrankungen. Während bei ersterer der Körper bestimmte Organe attackiert, etwa den Darm, die Schilddrüse, die Bauchspeicheldrüse oder die Haut, attackiert das Immunsystem bei letzterer das gesamte Körpersystem.
Organspezifische Autoimmunkrankheiten
Zu den häufigen organspezifischen Autoimmunkrankheiten gehören:
- Diabetes mellitus Typ 1: Das Immunsystem greift die Inselzellen (insulinbildende Zellen) der Bauchspeicheldrüse an. Die Zellen sterben ab und es kann kein Insulin mehr gebildet werden. Insulin muss ein Leben lang von außen zugeführt werden.
- Morbus Crohn: Das Immunsystem greift die Darmschleimhaut des Dünndarms und/oder Dickdarms an. Der Darm entzündet sich.
- Colitis ulcerosa: Das Immunsystem greift die Darmschleimhaut des Dickdarms an. Der Darm entzündet sich.
- Multiple Sklerose: Das Immunsystem greift die Myelinscheide an, welche viele Nervenzellen umgibt. Diese lipid- und proteinreiche Struktur schützt die Nerven und verkürzt die Weiterleitungsdauer von Reizen. Es entstehen Entzündungen im zentralen Nervensystem.
- Morbus Basedow: Das Immunsystem greift die TSH-Rezeptoren der Schilddrüse an. Die Produktion der Schilddrüsenhormone wird angekurbelt, was eine Schilddrüsenüberfunktion zur Folge hat.
- Hashimoto-Thyreoiditis: Das Immunsystem greift das Gewebe der Schilddrüse an. Es geht immer mehr Schilddrüsengewebe zugrunde.
- Psoriasis (Schuppenflechte): Das Immunsystem bildet vermehrt bestimmte Botenstoffe (Zytokine), die Entzündungsprozesse auslösen. Einige der Botenstoffe aktivieren die Keratinozyten. In Folge ist die Hautzell-Neubildung stark beschleunigt. Bei einer Schuppenflechte teilen sich die Zellen bis zu zehn Mal schneller. Die Haut verdickt sich und schuppt.
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Nicht-organspezifische, systemische Autoimmunerkrankungen
Zu den nicht-organspezifischen, systemischen Autoimmunerkrankungen (Erkrankungen des entzündlich-rheumatischen Formenkreises) gehören:
- Rheumatoide Arthritis: Betroffene leiden neben systemischen Symptomen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche unter chronischen Entzündungen in den Gelenken.
- Lupus Erythematodes (SLE): Betroffene leiden neben systemischen Symptomen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche unter Angriffen des Immunsystems auf das Bindegewebe potenziell jedes Organsystems.
- Polymyositis: Betroffene leiden neben systemischen Symptomen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche unter chronischen Entzündungen der Muskulatur.
- Sjögren-Syndrom: Betroffene leiden neben systemischen Symptomen wie Erschöpfung, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche unter Angriffen des Immunsystems gegen exokrine Drüsen, vor allem der Speicheldrüsen und der Tränendrüsen.
Lesetipp: Ratgeber „Rheumatoide Arthritis“ von Gelbe Seiten.
Symptome: Wie macht sich eine Autoimmunkrankheit bemerkbar?
Wie beginnt eine Autoimmunerkrankung? Die Symptome, welche bei den Betroffenen auftreten, sind abhängig von der Autoimmunerkrankung und den betroffenen Geweben beziehungsweise Organen, gegen die sich die Immunzellen richten. Wie bereits erwähnt, kann der Angriff gegen ein einzelnes Organ gerichtet sein oder systemisch erfolgen. In der Regel ist es so, dass Betroffene nicht nur die „Hauptsymptome“ wahrnehmen, etwa Gelenkschmerzen bei Rheumatoider Arthritis oder Durchfälle bei Morbus Crohn, sondern auch durch Symptome wie Fieberschübe, Erschöpfung, intensive Müdigkeit (Fatigue), Schwäche, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen stark belastet sind.
Bluttest hilft bei der Diagnose von Autoimmunerkrankungen
Aufgrund der Vielzahl an Autoimmunerkrankungen und ihren verschiedenen Krankheitsbildern gibt es nicht das EINE Diagnoseverfahren, um ein fehlgeleitetes Immunsystem zu erkennen. Erste Hinweise auf eine Autoimmunerkrankung erhält der Arzt oder die Ärztin im Rahmen der Anamnese. Bei dem Erstgespräch werden die Symptome des Patienten oder der Patientin besprochen. Abhängig vom Verdacht können weitere Untersuchungen angeordnet werden.
Eine besondere Rolle bei der Diagnose einer Autoimmunkrankheit spielt ein Bluttest. Im Blut lassen sich bei vielen Autoimmunerkrankungen neben erhöhten Entzündungsparametern für die jeweilige Erkrankung zudem spezifische Autoantikörper finden. Und das Blut verrät noch mehr: Im Blut sind beispielsweise auch die zu hohen Blutzuckerwerte bei Diabetes Typ 1 nachweisbar oder bestimmte Rheumafaktoren. Bei Morbus Basedow sind die Werte der Schilddrüsenhormone im Blut erhöht.
Autoimmunerkrankungen behandeln: Immunsuppressiva helfen
Die Therapie einer Autoimmunerkrankung ist ebenfalls abhängig vom Krankheitsbild. So kommt bei der Schuppenflechte unter anderem eine spezielle medizinische Hautpflege zur Anwendung, welche die Hautbarriere stärkt. Entzündungshemmende Medikamente wie Kortison können Entzündungsprozesse eindämmen. Bei Diabetes Typ 1 müssen Betroffene angepasst an ihre Mahlzeiten Insulin spritzen oder bekommen dieses über eine Insulinpumpe zugeführt. Schmerzmittel können bei Gelenk- und Muskelschmerzen lindernd wirken. Weitere Therapie-Bausteine sind unter anderem Physiotherapie, Psychotherapie, Ergotherapie, Logotherapie und Lichttherapie.
Eine bedeutende Rolle kommt zudem den sogenannten „Immunmodulierenden Medikamenten“ wie Beta-Interferone und Biologika sowie den „Immunsuppressiva“ zu, beispielsweise Methotrexat und Ciclosporin. Diese Medikamente haben das Ziel, die Aktivität des Immunsystems zu hemmen und so die Schübe und akuten Krankheitssymptome zu lindern und das Risiko für mögliche Langzeitfolgen zu senken. Denn: Werden die Angriffe des Immunsystems gegen den eigenen Körper nicht eingedämmt, können sich bei einer rheumatoiden Arthritis beispielsweise die Gelenke verformen und versteifen. Auch Herz und Lunge können betroffen sein. Wie der Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten e. V. (BDI) mitteilt, ist „besonders die Schädigung des Herzens und der Blutgefäße die Haupttodesursache bei rheumatoider Arthritis“. Bei der Autoimmunerkrankung Lupus Erythematodes (SLE) ist unter anderem das Herzinfarktrisiko, das Risiko für schwerwiegende Erkrankungen der Lunge sowie der Nieren bis hin zu Nierenversagen erhöht.
Immunsuppressiva – nicht ganz ohne Risiko
Risikofrei sind Immunsuppressiva nicht. Nicht nur, dass eine Einnahme mit teils erheblichen Nebenwirkungen verbunden ist und im Laufe der Zeit oft auch die Wirkung auf das Immunsystem nachlässt. Menschen mit Autoimmunerkrankungen, welche Immunsuppressiva einnehmen, haben aufgrund des gedrosselten Immunsystems zudem ein höheres Risiko für Infekte, die durch Bakterien, Viren und Pilze ausgelöst werden. Auch ist oft eine erhöhte Anfälligkeit für Erkrankungen wie Erkältungen im Allgemeinen, Grippe, Magen-Darm-Infekte, aber auch Corona (Covid-19) festzustellen. Außerdem sind die Verläufe oft schwerer als bei Menschen, die keine Autoimmunkrankheit haben und keine Immunsuppressiva nehmen müssen.
Sind Autoimmunkrankheiten heilbar?
Autoimmunerkrankungen sind chronisch und bislang nicht heilbar. Einer der Gründe dafür ist die Entwicklung eines autoreaktiven immunologischen Gedächtnisses, das sich mit den herkömmlichen Therapien nicht wieder beseitigen lässt. Dies gelingt auch nicht mit Medikamenten, die das Immunsystem unterdrücken. Wissenschaftler:innen arbeiten daran, Immunsuppressiva zielgerichteter, wirksamer und nebenwirkungsärmer zu machen. Auch gibt es Forschungen zu der Eliminierung des autoreaktiven immunologischen Gedächtnisses.
Quellen: