Experteninterview: Was agiles Arbeiten kann und wo Agilität an ihre Grenzen stößt
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Experteninterview: Was agiles Arbeiten kann und wo Agilität an ihre Grenzen stößt

Weg vom Einzelkämpfer, hin zum Teamwork und regem Austausch innerhalb des Unternehmens. Dafür steht Agilität. Immer mehr gewinnen agile Methoden Einzug in deutsche Unternehmen. Wie das Ganze mit der Arbeit im Homeoffice zusammenpasst und ob das agile Mindset überall problemlos umgesetzt werden kann, haben wir einen der Gründer von Agile Heroes, Fabian Kaiser, gefragt.

Gelbe Seiten: Agilität soll den Austausch unter Kollegen fördern, das Team durch Aufbrechen hierarchischer Strukturen stärken und eine schnelle Reaktion auf aktuelle Ereignisse untermauern. Agile Methoden wie Scrum sagen, dies kann nur geschehen, wenn alle Mitarbeiter körperlich anwesend sind. Ist Agilität somit das Ende der Homeoffice-Ära?

Fabian Kaiser: Dies stellt meines Erachtens nach dem größten Widerspruch in der agilen Welt dar. Agilität bedeutet unserer Auffassung nach, neben einer schnelleren Produktentwicklung und Reaktion auf Veränderung, auch eine Veränderung in der Arbeitswelt und im Mindset. Und hierzu gehört auch das Homeoffice. Immerhin ist das, neben Gehalt und Perspektive, einer der wichtigsten Punkte, wieso sich Arbeitnehmer für einen Job entscheiden.

Natürlich, in der Lehre nach Scrum, also der wohl bekanntesten agilen Methode, ist das Homeoffice nicht gern gesehen, da Distanz die direkte Produktivität des Teams schmälert. Allerdings wird hierbei die Zufriedenheit der Mitarbeiter völlig außer Acht gelassen. Diese hat meines Erachtens nach ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Produktivität des Unternehmens.

Außerdem finde ich, dass Homeoffice vereinzelt schon Jahre gelebt wird, die große Masse der Unternehmen aber erst die letzten 2-3 Jahre die Wichtigkeit des heimischen Arbeitsplatzes versteht und noch viel zu viele Unternehmen dies, obwohl es technisch möglich wäre, untersagen.

Gelbe Seiten: Sollten Angestellte Ihrer Meinung nach dann ein „Recht auf Homeoffice“ haben?

Fabian Kaiser: Von einem Recht zu sprechen, finde ich schwierig. Unternehmen in der Produktion können ihren Mitarbeitern dieses Recht schwer einräumen. Von daher muss das jedes Unternehmen situativ entscheiden.

In unserem Unternehmen, also einem dienstleistungsgetriebenen Unternehmen, ist es deutlich einfacher. Bei uns hat jeder Mitarbeiter das Recht auf einen fixen Tag Homeoffice pro Woche, in dem er einfach Sachen erledigen kann, die am Wochenende schwieriger sind wie zum Arzt gehen, entspannt einkaufen oder aufs Amt gehen.

Wir haben einfach gemerkt, wie gut das unseren Mitarbeitern tut, nicht mehr nachfragen zu müssen und selbst entscheiden zu können. Übrigens merken wir, dass dies viele Mitarbeiter gar nicht jede Woche wahrnehmen, weil die Kollegen und die nahe Zusammenarbeit sie dann doch ins Büro ziehen.

Gelbe Seiten: Sie haben selbst ein Unternehmen gegründet, das sich darauf spezialisiert hat, die agile Transformation von Unternehmen zu unterstützen. Welche Rolle spielt bei Ihnen Agilität und wie setzen Sie sie um?

Fabian Kaiser: Ein Wert von uns ist Transparenz und das möchte ich hier auch in diesem Interview an den Tag legen: Wir selbst sind gar nicht zu 100% agil, wie alle denken. Auch wenn wir mit der Agilität unsere Brötchen verdienen, möchten wir immer darauf hinweisen, dass wir nicht jedem diese Arbeits- und Denkweise aufs Brot schmieren.

„Die Frage ist nicht ob agil oder nicht, sondern eher wie viel.“

Wir setzten Agilität in großem Umfang dort ein, wo sie vernünftig ist, egal ob beim Kunden oder bei uns. Wir kommunizieren immer klar, wann wie viel Agilität notwendig ist und wo sie einen Mehrwert bringt. In unserer Produktentwicklung, Softwareentwicklung oder im Marketing zum Beispiel. In den Abteilungen wie Backoffice oder bei den Trainern, die die Trainings durchführen, kann Agilität wirklich nur bedingt eingesetzt werden. In der Art der Kommunikation, in der Art von Führung.

Gelbe Seiten: Was sind die Ankerpunkte der Agilität in Ihrem Unternehmen neben der Transparenz und dem Homeoffice?

Fabian Kaiser: Zum Beispiel, dass die Teams sehr selbstorganisiert entscheiden, dass ein hoher täglicher Austausch in Form von einem Daily, also einem morgendlichen Meeting bei dem alle Mitarbeiter über ihre Erfolge und Misserfolge sprechen können und in Form einer Retrospektive, in dem alle Mitarbeiter monatlich zusammen ihre Arbeitsweise verbessern.

Weitere Ausprägungen, wie ein kompletter agiler Produktentwicklungsprozess, muss wirklich mit Bedacht eingesetzt werden. Das ist dann unser Job in den Unternehmen und auch bei uns, auch ganz klar zu sagen, wo Agilität an ihre Grenzen kommt.

Gelbe Seiten: Was würden Sie Unternehmen raten, die immer noch auf die klassischen hierarchischen Unternehmensstrukturen zurückgreifen? Sollten diese ihre Regeln aufbrechen und mehr Verantwortung in die Hände der einzelnen Mitarbeiter und Teams legen?

Fabian Kaiser: Ich finde es immer anmaßend solch einen Rat abzugeben, ohne die Unternehmen wirklich zu kennen. Grundlegend kann ich aufgrund meiner Erfahrungen sagen, dass die Unternehmen, die diese hierarchischen Strukturen aufweisen, ja ziemlich lange damit erfolgreich waren.

Ich würde dann mit Ihnen die Risiken der klassischen Strukturen absprechen und wenn Sie immer noch davon ausgehen, Ihre Methode sei erfolgreicher – wieso sollte ich Ihnen dann davon abraten?

Wenn sie aber denken, dass sie sich in der Zukunft gegen technologiegetriebene Unternehmen und StartUps behaupten müssen, würde ich eher zu flachen Hierarchien und der agilen Arbeitsweise raten. Hier erhalten die Mitarbeiter und Teams mehr Verantwortung und sind dadurch motivierter.

Gelbe Seiten: Hat das auch Folgen auf die Außenwirkung von Unternehmen?

Fabian Kaiser: Ein agiles Auftreten ist einfach notwendig, damit diese „klassischen“ Unternehmen weiterhin die besten Talente für sich gewinnen können. Denn genau diese Talente sind meist auf der Suche nach agilen Unternehmen mit innovativer Arbeitsweise und Produkten.

Gelbe Seiten: Hatten Sie auch schon einmal mit agil-resistenten Menschen oder einem Unternehmen zu tun? Oder kann jeder Agilität erlernen und dann auch leben?

Fabian Kaiser: Ich begegne ständige agil-resistenten Menschen. Das ist auch völlig okay und nur weil mein Mindset sehr agil ist, möchte ich es diesen Menschen nicht aufzwingen. Agil-resistente Unternehmen hingegen begegne ich nur sehr selten, da vor allem Teilbereiche von den Unternehmen agil denken bzw. sich bei uns melden, weil sie lernen wollen agil zu denken und zu arbeiten. Diese Anfragen werden von Monat zu Monat mehr, da aktuell wirklich ein enormer Druck auf die Unternehmen zu wirken scheint.

„Agilität ist intuitiv und häufig sind Teilnehmer verwundert, wie schnell man es erlernen kann.“

Ob es jeder lernen und leben kann? Ja und Nein. Agilität kann wirklich jeder lernen, da es sehr intuitiv ist. Gerade in unseren kompakten Trainings zu Scrum, Design Thinking oder Agilität ist es so, dass die Teilnehmer immer wieder verwundert sind, wie schnell das geht. Die große Herausforderung, wie bei allen Dingen, ist es jedoch Agilität zu leben. Das bedarf Zeit und viele Kollegen, die das mitmachen.

Zu guter Letzt bleibt allerdings noch die Frage, ab wann jemand/ ein Unternehmen eigentlich agil ist oder ob dieser Zustand per se eigentlich gar kein Ziel, sondern viel mehr ein Weg ist.

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